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Artikel erschienen in Der Standard, 09. Januar 2007

Nach Pipeline-Blockade im Zuge von Handelsstreit zwischen Russland und Weißrussland

Frankfurt am Main/Berlin. Die Blockade der wichtigen "Druschba"-Ölpipeline von Russland nach Mitteleuropa hat die Diskussion in Deutschland über Abhängigkeiten von russischen Energielieferungen und die Zukunft der Atomenergie neu entfacht. Die Bundesrepublik brauche einen ausgewogenen Energiemix, um seine Versorgung zu sichern, sagte die stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Katharina Reiche, der "Berliner Zeitung": "Dazu müssen wir den Anteil erneuerbarer Energien deutlich erhöhen." Die Kernkraft gehöre ebenfalls dazu, sagte die CDU-Politikerin.

Widerspruch kam aus den Reihen des Koalitionspartners SPD. "Wer die Lieferengpässe bei Öl heranzieht, um die Kernenergie zu propagieren, ist nicht in der Lage, das Thema Energieversorgung intellektuell zu erfassen", sagte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Ulrich Kelber der Zeitung. Benzin könne man nicht durch Atomenergie ersetzen.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer sagte der "Hannoverschen Neuen Presse" die Energiewirtschaft spiele sich auf "wie eine vierte Staatsgewalt". Da ohne Energieversorgung nichts geht, ist sie (die Energiewirtschaft) der Meinung, die Politik sei von ihr abhängig. Und ein Teil der Politik ist offensichtlich der selben Meinung." Statt sich in die Abhängigkeit von multinationalen Energiekonzernen zu begeben, solle die Politik massiv auf erneuerbare Energien setzen.

Kein verlässlicher Partner

In der Energieversorgung sei Russland offensichtlich doch kein verlässlicher Partner, sagte der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Reinhard Bütikofer im Deutschlandradio Kultur. Die EU brauche ein Konzept, um die Abhängigkeit von Drittländern bei Rohstoffen wie Öl und Gas zu ersetzen. Der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag, Ex-Umweltminister Jürgen Trittin meint: "Mit Uran kann man keine Häuser und Fabriken beheizen und keine Autos betanken."

Die Energiepolitik ist Schwerpunkt der am 1. Jänner begonnenen deutschen EU-Ratspräsidentschaft und Thema bei der Sondersitzung am Dienstag der deutschen Regierung mit der EU-Kommission in Berlin. Unionsparteien und SPD hatten sich in den Verhandlungen zur Bildung der schwarz-roten deutschen Koalitionsregierung im Jahr 2005 darauf geeinigt, am Atomausstieg der rot-grünen Vorgängerregierung festzuhalten. Dennoch brachten CDU- und CSU-Politiker den Ausstieg aus dem Ausstieg immer wieder ins Gespräch - zuletzt CSU-Chef Edmund Stoiber am Dienstag. Gemäß dem Konsens sollen in der laufenden Legislaturperiode bis zu vier deutsche Atomkraftwerke vom Netz gehen, da ihre Restlaufzeiten dann aufgebraucht sind.

Russland hatte am Montag wegen eines Handelskonfliktes mit Weißrussland die Öl-Leitung durch das Nachbarland geschlossen und damit auch die Versorgung u.a. Deutschland und Polens beschnitten. Der russische Pipeline-Betreiber Transneft begründete die Maßnahme damit, dass Weißrussland sich illegal mit Öl aus der Pipeline versorge. Weißrussland bestreitet das.

EU-Strategie

Unterdessen nannten deutsche Umweltschützer den neuen Energie-Aktionsplan der EU unzureichend. Die bisher bekannt gewordenen Details wiesen darauf hin, dass er den Herausforderungen des globalen Klimawandels nicht gerecht werde, kritisierte Gerhard Timm, Geschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), am Dienstag in Berlin. Der Plan, den der zuständige Kommissar Andris Piebalgs am Mittwoch vorstellen will, sieht offenbar eine rechtliche Trennung von Stromerzeugung und Netzbetrieb. Berlin lehnt dies ab. Der Anteil erneuerbarer Energien soll nach den EU-Plänen bis 2020 auf ein Fünftel angehoben werden.

BUND verlangte eine Minderung des Kohlendioxidausstoßes bis 2020 um ein Drittel als Ziel. "Der Energieaktionsplan vernachlässigt die Verbesserung der Energieeffizienz und den Ausbau erneuerbarer Energien", sagte Timm. "Atomenergie und angeblich saubere Kohlekraftwerke hingegen werden als Lösungen der Energieprobleme gepriesen. Das passt nicht zusammen."

Vertragstreue

Angesichts der Blockade der wichtigsten Öl-Pipeline von Russland nach Westeuropa haben deutsche Politiker von Moskau Vertragstreue gefordert. "Man muss von Russland erwarten, dass es seine Konflikte mit Weißrussland so löst, dass nicht unbeteiligte Dritte betroffen sind", sagte der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Eckart von Klaeden (CDU), der "Berliner Zeitung" (Dienstagsausgabe). Umwelt-Staatssekretär Michael Müller (SPD) wertete die Blockade als "Warnschuss" für die Bundesregierung. Die Europäische Union müsse mit Russland "viel mehr Energieallianzen aufbauen", forderte Müller im Bayerischen Rundfunk.

Die Pipeline-Blockade löste auch eine neuerliche Debatte über den Atom-Ausstieg aus. "Deutschland braucht einen ausgewogenen Energiemix", sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union im Bundestag, Katherina Reiche (CDU). "Dazu müssen wir den Anteil erneuerbarer Energien deutlich erhöhen, die Kernkraft gehört ebenfalls dazu." Dies wurde von SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber scharf zurückgewiesen. "Wer die Lieferengpässe beim Öl heranzieht, um die Kernenergie zu propagieren, ist nicht in der Lage, das Thema Energieversorgung intellektuell zu erfassen", sagte Kelber. (APA)

www.derstandard.at

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